Immer wieder sind Jugendliche in Brückenangeboten, die sehr grosses und ausgewiesenes Potenzial mitbringen, dieses aber mit ihren Schulzeugnissen nicht belegen können. Im Gegenteil sie haben oftmals mittelmässige bis sehr knappe Noten und weisen verhältnismässig viele Absenzen auf. Durch den engen Blick auf die Schulzeugnisse entgehen so den Unternehmen immer wieder mal die intensiv gesuchten „Perlen“!

Jugendliche finden die obligatorische Schule nicht nur lässig, sondern vielfach belastend, öd, ohne tieferen Sinn. Diese Gefühle werden durch Unterforderung deutlich verstärkt, womit die schulische Leistung massiv abnimmt.

Es gibt Lehrpersonen, welche unterforderten Schülern zusätzliche und meist deutlich schwierigere Aufträge erteilen. Nur wird dies oftmals in den Schulzeugnissen nicht erwähnt, so dass in einem Bewerbungsgespräch zwar die Aussage des Schülers vorliegt, aber dafür keine Bestätigung sichtbar ist, die Aussage also nicht überprüft werden kann.

Viele dieser Jugendlichen finden mit diesen Unterlagen keine ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten entsprechende Ausbildung!

Wie mir sehr viele Rekrutierende von angehenden Lernenden bestätigen, wird oftmals folgendes Rekrutierungsraster angewendet:

1. Wie kommt die Bewerbung daher?
– Wenn dieses nicht „anständig“ daherkommt, wird die Bewerbung nicht mehr weiter angeschaut.

2. Welches Schulniveau besuchte der Bewerbende und wie sind dessen Noten?
– Wenn das Schluniveau nicht dem erwarteten Niveau entspricht, wird die Bewerbung nicht mehr weiterverfolgt.
– Wenn die Noten nicht dem selbstgesetzten Anspruch genügen, wird die Bewerbung nicht mehr weiter verfolgt.

3. Hat der Bewerber den Multicheck für den Beruf, auf den er sich bewirbt, beigelegt?
– Wenn nein, ist die Bewerbung unvollständig und der Bewerber erhält ebenfalls eine Absage.
– Andere als der verlangte Test werden nicht berücksichtigt.

Wenn dann die Bewerbungen noch über ein Online-Tool eingereicht werden müssen, so werden solche Bewerbungen gar nicht mehr durch Menschenhand bearbeitet.

Beispiel

Ich möchte an einem aktuellen Beispiel aufzeigen, wie solche Jugendliche zwischen den Maschen hindurchfallen!

Ein Jugendlicher, nennen wir ihn Jürg, findet keine Lehrstelle als Informatiker. Nach einiger Zeit meldet er sich beim RAV und kann dann in ein SEMO.

Wir sehen seine Sek. B-Noten. Deutsch 4,5, Mathe 4,0 bis 4,5 und Englisch 5 bis 5,5. Seine entschuldigten und unentschuldigten Absenzen sind zwar nicht erschreckend hoch, aber doch zwischen 10 und 25 Halbtage je Semester.

Wir bearbeiten mit Jürg sein Bewerbungsdossier und erfahren, dass er vom Lehrer vor allem in Mathematik Zusatzaufgaben erhalten habe. Seine Noten seien unter anderem auch mit seinen Absenzen verknüpft, da er in der Schule nicht wirklich motiviert war und deshalb auch eine mittelmässige Leistung zeigte.

Als erstes klären wir die Ressourcen von Jürg ab. Wir machen mit ihm unter anderem den Stellwerktest[1] 8. Dort erreicht er Werte[2] von 656 Punkte in Mathematik, 547 Punkte in Deutsch und 707 Punkte im Vorstellungsvermögen. Damit liegt er deutlich in der oberen Hälfte aller Testabsolventen! Wenn wir im nächsten Schritt seine Leistung mit den Anforderungen der Informatikberufe vergleichen, so zeigt sich folgendes Bild:

Fach Leistung Berufsanforderung Differenz
Mathematik 656 Punkte 590 Punkte + 66 Punkte
Deutsch 547 Punkte 500 Punkte + 47 Punkte

Weitere Abklärungen zeigen ein sehr grosses Potenzial und eine sehr hohe Leistungsbereitschaft. Eine Beurteilung, die wir aus der Zusammenarbeit mit Jürg nur bestätigen können!

In Schnupperlehren als ICT-Fachmann oder als Mediamatiker wird Jürg bestätigt, dass er aufgrund seiner Fähigkeiten besser eine Informatikerlehre absolvieren sollte. Die Firmen entschieden sich deshalb jeweils für andere Bewerbende.

Welche Lernenden suchen nun Unternehmen?

Ausgehend von den Bedürfnissen der schweizerischen Volkswirtschaft, respektive den künftig gesuchten Fachkräften, brauchen Unternehmen als Lernende motivierte und geeignete Jugendliche. Ein Teil davon soll sich nach der beruflichen Grundbildung weiterbilden und z.B. eine Fachhochschule oder eine Berufs- und Höhere Fachprüfung besuchen um anschliessend der Ausbildung entsprechende Fach- oder Führungsaufgaben übernehmen.

Das geschilderte Rekrutierungsverfahren erfüllt diesen Zweck leider nicht, da bei dieser Vorgehensweise die Ressourcen nicht erkannt werden können. Deshalb muss Jürg nun den Einstieg in die Berufswelt über einen anderen Beruf einschlagen. Vielleicht findet er auf diesem Weg eine Lehrstelle, welche ihm anschliessend die Möglichkeit gibt, sich seinen Möglichkeiten entsprechend zu entwickeln.

Wie könnte eine ressourcenorientierte Rekrutierung von Lernenden aussehen?

  • Bei einer überzeugenden Argumentation in der Bewerbung könnte dieser Jugendliche in ein kurzes Gespräch eingeladen werden.
  • Wenn der Bewerbende dort seine Motivation sichtbar machen kann, so folgt eine klar strukturierte Schnupperlehre mit messbaren und damit vergleichbaren Aufgaben.
  • Allenfalls könnten noch Testverfahren, wie Hamet 2, Stellewerktest oder Basic,- resp. Multicheck oder interne Tests hinzugezogen werden.
  • Wichtig sind meines Erachtens auch Referenzen. Insbesondere, wenn diese von Berufsfachleuten erteilt werden können.

Jürg

Neben den oben erwähnten Fakten kann sich Jürg, ohne Schweizerdeutsch mitzuzählen, in vier Sprachen unterhalten und hat mit seinen 18 Jahren, auch bereits erste Auslandaufenthalte absolviert.

Sind Sie an Jürg als Lernender interessiert? Teilen Sie mir dies mit!

[1]     www.stellwerk-check.ch. Dies ist eine webbasierte individuelle Standortbestimmung für Schüler der Oberstufe. Zugleich lassen die Profile Vergleiche mit den Anforderungen von vielen Berufsbildern in der Schweiz zu (so unter anderem mit Informatiker).

[2]     (der Mittelwert liegt bei 500 Punkten, rund 68 Prozent der Testergebnisse liegen zwischen 400 und 600 Punkten, rund 95 Prozent der Testergebnisse liegen zwischen 300 und 700 Punkten)